Pharmakologie: Schalter für die zelluläre Steuerung

01.02.2018

LMU-Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich wichtige Rezeptormoleküle gezielt an- und abstellen lassen. Dies ermöglicht neue Einblicke in deren Funktionsweise und Auswirkung auf Zellsignalwege.

Modell eines RECON (Reductively Cleavable Agonist) für die reversible Kontrolle von GPCR Zellsignalwegen. Bild: J. Broichhagen, D. Hodson

Sogenannte G-Protein-gekoppelte Transmembranrezeptoren sind an der Steuerung zahlreicher lebenswichtiger Prozesse beteiligt. Defekte in deren Signalwirkung können die Ursache zahlreicher Krankheiten sein, deshalb gehören sie zu den wichtigsten pharmazeutischen Zielmolekülen. Forschern um Anja Hoffmann-Röder, Professorin für Organische Chemie an der LMU, ist es nun in Kooperation mit Teams um Professor Dirk Trauner (bis 2017 LMU, nun New York University) und Professor David Hodson (University of Birmingham) mithilfe maßgeschneiderter Moleküle gelungen, einige dieser Rezeptoren spezifisch und gezielt zu aktivieren. Dies ermöglicht neue Einsichten in ihre molekularen Mechanismen und kann zur Entwicklung neuer Behandlungsansätze beitragen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin ACS Central Science.

Die neue Studie basiert auf früheren Arbeiten der Wissenschaftler, in denen sie ein photopharmakologisches System entwickelten, bei dem sogenannte SNAP-Tags eingesetzt werden. Der Rezeptor wird dabei genetisch modifiziert und mit einer bestimmten Aminosäuresequenz – dem SNAP-Tag – ausgestattet. Über den SNAP-Tag können Liganden mit einem pharmakologischen Profil spezifisch an den Rezeptor gebunden werden und ihn aktivieren oder auch blockieren. Die Forscher haben dieses Konzept nun auf einen Rezeptor angewendet, genannt GLP-1R, der die Insulinausschüttung im Körper reguliert und daher für die Behandlung von Diabetes eine wichtige Rolle spielt. „Als Liganden haben wir ein Hormon verwendet, das wir mit einem Adaptermolekül synthetisch erweitert haben. Durch die direkte Bindung des Liganden an den SNAP-Tag wird der Rezeptor aktiviert – und ist somit in diesem Zustand „gefangen“, sagt Tom Podewin (Max-Planck-Institut für medizinische Forschung), einer der Erstautoren der Studie und bis 2017 Doktorand in Hoffmann-Röders Arbeitsgruppe. Das Adaptermolekül bindet dabei an den SNAP-Tag und ist über eine Disulfidbrücke flexibel mit dem Hormon verknüpft. Die Disulfidbrücke ist der Clou des neu entwickelten Liganden, da diese mit einem reduktiven Reagenz gespalten werden kann, wodurch sich der Ligand vom Rezeptor wieder ablöst – dadurch wird der Rezeptor wieder inaktiviert, kann also reversibel gesteuert werden.

Um die breite Anwendungsmöglichkeit dieser als „tethered pharmacology“ bezeichneten Technik zu demonstrieren, haben die Wissenschaftler mit derselben Technik einen weiteren Liganden synthetisiert, mit dem sie spezifisch einen anderen Rezeptor aktivierten, der die Ausschüttung von Wachstumshormonen steuert. „Unsere neuen Liganden sind zudem die größten bekannten Rezeptor-gebundenen Agonisten. Tethered pharmacology ist also nicht auf kleine Moleküle beschränkt, sondern kann auch auf große Peptide und eventuell sogar auf Proteine übertragen werden“, erklärt Hoffmann-Röder.

Die Liganden sind fest an die Rezeptoren gebunden und können sich nicht einfach wieder ablösen. Zur Überraschung der Wissenschaftler verhindert die Bindung der Liganden auch, dass die Rezeptoren nach ihrer Aktivierung abgebaut und recycelt werden, wie es normalerweise der Fall wäre. „Die Möglichkeit, jedwede Substanz, sei sie pharmakologisch oder für bildgebene Verfahren, nun an einen maßgeschneiderten Rezeptor zu binden, eröffnet uns ein großes Spielfeld zur Manipulation und zum Studium von komplizierten Zellsignalwegen“, ergänzt Erstautor Johannes Broichhagen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass ihre neue Methode entscheidend dazu beitragen kann, Rezeptoren und ihre Signalwirkung besser zu verstehen um neue therapeutische Ansätze abzuleiten.
ACS Central Science 2018