Chemische Evolution: One Pot Wonder

08.10.2019

Vor dem Leben kam die RNA: LMU-Forscher zeigen, wie auf der Ur-Erde die vier verschiedenen Buchstaben dieses Erbgut-Alphabets aus simplen Vorläufermolekülen entstehen konnten – unter denselben präbiotischen Bedingungen.

Auf geothermalen Feldern wie im hier Yellowstone-Nationalpark könnten auf der Ur-Erde erste RNA-Moleküle, die Vorboten des Lebens, entstanden sein. Foto: imago / Westend61

Die Evolution hat eine Vorgeschichte: Bevor sich auf dem damals noch jungen Planeten das Leben formen konnte, müssen vor gut vier Milliarden Jahren die ersten einfachen Bausteine entstanden sein, die seine Entstehung in Gang setzten. Unter welchen Bedingungen und auf welchem Wege fügten sich solche Moleküle zusammen, aus denen sich komplexere informationstragende Einheiten bilden konnten, die sich selbst vervielfältigen – Vorläufer des heutigen Erbmaterials? Wissenschaftler um den LMU-Chemiker Professor Thomas Carell können nun einen weiteren, wenn nicht den entscheidenden Schritt in dieser chemischen Evolution erklären, die der biologischen Stammesgeschichte vorausgegangen ist. Davon berichten sie im renommierten Fachmagazin Science.

Thomas Carell und sein Team schlagen in ihrer neuen Arbeit eine Kaskade chemischer Reaktionen vor, in der die vier verschiedenen Bausteine des Erbmoleküls RNA allesamt unter identischen präbiotischen Bedingungen entstehen können: die Ursuppe – sozusagen in einem Topf gekocht. Bislang gab es zwei konkurrierende Modelle, die unterschiedliche geochemische Settings auf der frühen Erde voraussetzten. Eines führt zum Bau der sogenannten Pyrimidine, der Buchstaben C (Cytosin) und U (Uracil) im RNA-Alphabet, das andere zu A (Adenin) und G (Guanin). Den Reaktionsweg zu diesen Purinen hatte Carells Team schon in einer früheren Arbeit beschrieben. Jetzt haben die Münchner Chemiker, wenn man so will, eine Synthese geschafft.

Danach reichten einfachste chemische Zutaten und Reaktionsbedingungen, wie sie auf der Erde vor Millionen von Jahren etwa auf geothermalen Feldern mit vulkanischer Aktivität im Untergrund oder aber auch in flachen Teichen zu finden gewesen sein dürften, um die Synthese sogenannter Nukleoside, der direkten Vorstufen für die Purine und Pyrimidine, über eine ganze Reihe von Reaktionsschritten in Gang zu halten. Ausgangsstoffe dafür waren in den Versuchen, die die präbiotischen Bedingungen nachstellen sollten, so einfache Substanzen wie Ammoniak, Harnstoff und Ameisensäure. Auch brauchte es Salze wie Nitrite und Carbonate sowie Metalle wie Eisen und Zink, die in großen Mengen in der Erdkruste vorhanden sind. Angetrieben wurde die Kette der chemischen Reaktionen lediglich von Nass-Trocken-Zyklen, wie sie durch hydrothermale Quellen oder auch Dürre- beziehungsweise Regenperioden entstehen können.

Thomas Carell spricht von einem „Durchbruch“. Interessant sei, wie vergleichsweise homogen die Reaktionsbedingungen für die einzelnen Schritte der Synthese seien. Es reichten schon geringe Fluktuationen physikalischer Parameter wie eine gelinde Erwärmung beziehungsweise Abkühlung oder der Wechsel zwischen einem leicht sauren und einem leicht basischen Reaktionsmilieu. „Es gibt wenige komplexe Moleküle, die sich in so engen Reaktionsbändern herstellen lassen“, sagt der LMU-Chemiker. Solche einfachen Rahmenbedingungen, so folgert er, ließen es umso plausibler erscheinen, dass diese Reaktionskaskaden und damit ein entscheidender Schritt der chemischen Evolution auf der frühen Erde haben stattfinden können.
 

Science 2019