Sensor mit Klettverschluss - Struktur eines Schlüsselmoleküls der DNA-Reparatur aufgeklärt

Apr 04, 2011

Doppelstrangbrüche gehören zu den gefährlichsten Schäden am Erbmolekül DNA. Sie entstehen etwa durch Strahlung oder Umweltgifte und können das Absterben der Zelle verursachen - und letzten Endes Auslöser für Krebs sein. Effiziente zelluläre Reparaturmechanismen sind daher essenziell um Zelltod oder Entartung zu verhindern. Eine zentrale Rolle spielt dabei der sogenannte MR-Komplex, dessen Struktur und Mechanismus nun von einem Team um Professor Karl-Peter Hopfner vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München aufgeklärt werden konnte. Dabei zeigte sich, dass sich der Komplex als zellulärer Sensor aktiv schließt, wenn er auf eine Bruchstelle trifft: "Der Komplex hat zunächst eine offene Struktur, was vermutlich wichtig ist, um strukturell unterschiedliche Brüche zu erkennen. Am Wirkungsort bildet er eine ringartige Struktur - ähnlich wie eine Hand, die sich öffnet und schließt", sagt Hopfner. Zudem wirkt der MR-Komplex wie ein molekularer Klettverschluss, der die Bruchstücke verknüpft: An seinem Ende sitzen molekulare Ketten, die sich mit den Ketten anderer MR-Komplexe verhaken und so ein Auseinanderdriften benachbarter DNA-Stränge verhindern. Die eigentliche DNA-Reparatur leitet der MR-Komplex ein, indem er am Bruchstück einzelne DNA-Bestandteile abspaltet - erst danach entscheidet sich, welche der möglichen Reparaturmechanismen zum Einsatz kommen, oder ob der Schaden so groß ist, dass die Zelle in den programmierten Zelltod getrieben wird. Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind ein wichtiger Schritt, um die komplexen Mechanismen der Reparatur von DNA Doppelstrangbrüchen besser zu verstehen. Und sie eröffnen möglicherweise neue Möglichkeiten der Medizin, in das Reparaturgeschehen einzugreifen - zum Beispiel, um Zellen durch Inaktivieren des MR-Komplexes strahlenempfindlicher zu machen und so mit geringeren Bestrahlungsdosen in der Krebstherapie auszukommen. (Cell 1. April 2011)

Das Erbmolekül DNA liegt als schraubenförmig gewundener Doppelstrang vor, in dem die genetischen Informationen eines Organismus festgelegt sind. Gentoxische Chemikalien, Röntgenstrahlung oder Radioaktivität, aber auch die Vervielfältigung der Chromosomen während der Zellteilung können den Bruch beider DNA-Stränge hervorrufen. Diese Doppelstrangbrüche stellen für alle Organismen eine große Gefahr dar, da sie genetische Schäden nach sich ziehen können, die zu Erkrankungen wie Leukämien führen. Deshalb muss die Zelle Doppelstrangbrüche zeitnah und sorgfältig reparieren. Eine zentrale Rolle für alle DNA-Reparaturmechanismen spielt der sogenannte MR-Komplex, der aus insgesamt vier Enzymen besteht: jeweils zwei Nukleasen und zwei ATPasen. Dieser Komplex erkennt als zellulärer Sensor Doppelstrangbrüche und leitet deren Reparatur ein, indem er an die DNA bindet und Nukleinsäuren - die Bausteine der DNA - abspaltet. Die abgespaltenen Nukleinsäuren wiederum dienen als Signal, das weitere Reparaturmechanismen – oder bei zu großen Schäden den Zelltod – in Gang setzt. Defekte des MR-Komplexes lösen beim Menschen schwere Erkrankungen aus wie etwa das Nijmegen Breakage Syndrom, das mit erhöhter Strahlenempfindlichkeit einhergeht.

„Trotz der großen Bedeutung des MR-Komplexes war bisher völlig unklar, wie MR als Sensor die vielen heterogenen Brüche und DNA-Enden, die teilweise auch noch durch andere Proteine blockiert sind, erkennen kann“, erzählt Hopfner. Den Wissenschaftlern Dr. Katja Lammens, Dr. Derk Bemeleit und Carolin Möckel aus der Arbeitsgruppe von Professor Hopfner gelang es nun, den Komplex zu kristallisieren und anschließend dessen Raumstruktur mit Röntgenstrukturanalyse zu bestimmen. So konnten sie erstmals zeigen, dass der MR-Komplex ähnlich wie eine Hand funktioniert, die sich öffnet und schließt: Zunächst hat der Komplex eine offene Form, in der die beiden ATPasen voneinander entfernt sind. In diesem offenen Zustand kann der Komplex vermutlich auch DNA-Enden erkennen, die – wie etwa in der Keimbahn – von Proteinen blockiert sind. Erreicht er die DNA-Bruchstelle, klappen die ATPasen zusammen. Die nötige Energie hierfür gewinnen sie aus der Spaltung des Moleküls ATP. „Dies erklärt auch, warum ATP, die Energiewährung der Zelle, für den Vorgang essenziell ist – bisher war das völlig unbekannt“, sagt Hopfner. Im Zusammenspiel mit weiteren MR-Komplexen kann sogar verhindert werden, dass zerrissene DNA-Stränge weit auseinanderdriften: Molekulare Ketten am Komplexende verhaken sich mit denjenigen anderer Komplexe und wirken wie ein molekularer Klettverschluss.

Die neuen Einblicke in Struktur und Funktionsweise des MR-Komplexes sind auch aus medizinischer Sicht interessant, denn Doppelstrangbrüche sind etwa in der Krebstherapie ein wichtiges therapeutisches Mittel: Krebszellen sind durch ihre hohe Teilungsrate ohnehin anfälliger für Doppelstrangbrüche als andere Zellen. Durch Bestrahlung oder Chemotherapeutika werden weitere Doppelstrangbrüche hervorgerufen, die die Schadenslast so hoch werden lassen, dass die Krebszellen absterben. Könnten nun der MR-Reparaturkomplex oder andere Proteine dieser Signalkaskade gezielt gehemmt werden, würden geringere Dosen ausreichen, um diesen Effekt zu erzielen – die Therapie wäre somit schonender für den Patienten. „Eine andere Idee könnte die Tatsache nutzen, dass Krebszellen oft einige DNA-Reparaturwege ausschalten, um höhere Mutationsraten zu erzielen. Blockiert man dann die noch bestehenden Reparaturwege, wird die Zelle so stark geschädigt, dass sie in den programmierten Zelltod getrieben wird – gesunde Zellen dagegen könnten den Verlust möglicherweise kompensieren“, erläutert Hopfner. Um die Funktion des MR-Komplexes weiter aufzuklären, wollen die Wissenschaftler nun seine Struktur und Interaktion mit der DNA noch eingehender untersuchen, denn: „Wie die DNA an den MR-Komplex gebunden wird, ist noch unverstanden“, so Hopfner. Dieses Ziel wollen die Wissenschaftler als Nächstes angehen. (göd)

Das Projekt wurde im Rahmen der Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CiPSM) und „Munich-Centre for Advanced Photonics“ (MAP) durchgeführt. Außerdem wurde es im Rahmen der Sonderforschungsbereiche (SFB) 684, 646 und TR5 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und im Rahmen des Projekts „DNA Damage Response and Repair Mechanisms“ von der EU gefördert.

Publikation:
„The Mre11:Rad50 Structure Shows an ATP-Dependent Molecular Clamp in DNA Double-Strand Break Repair”;
K. Lammens, D. J. Bemeleit, C. Möckel, E. Clausing, A. Schele, S. Hartung, C. B. Schiller, M. Lucas, C. Angermüller, J. Söding, K. Sträßer, K.-P. Hopfner;
Cell, 1. April 2011;
DOI 10.1016/j.cell.2011.02.038