Prof. Dr. Jürgen Evers - Wissenschaftliche Thematik

1. Höchstdruck-Untersuchungen an den Zintl-Phasen MSi2 (M = Ca, Eu, Sr, Ba)

In den letzten Jahrzehnten ist es gelungen, statische Drücke bei der Materialsynthese und -untersuchung um mehr als einen Faktor von 50 zu steigern. Nun ist ein Druckbereich zugänglich, der noch vor einiger Zeit unvorstellbar war. Dieser Entwicklungsschub wird durch den großen Fortschritt, den die Diamantzellentechnik gemacht hat, ermöglicht. Der Druck im Zentrum der Erde beträgt etwa 3 500 000 bar = 3 500 kbar = 3.5 Mbar. Der höchste Druck, der bisher mit einer Diamantzelle erreicht wurde, liegt bei 5.5 Mbar. Es wird angenommen, dass der Höchstdruck, der in dieser Technik erreichbar ist, etwa 7.5 Mbar beträgt. Bei diesem Druck beginnt die Metallisierung von Diamant, die mit einer großen Volumenabnahme verbunden ist, sodass dann die verwendeten Diamanten bersten. Die Änderung der inneren Energie (U) eines Stoffes hängt von den Zustandsvariablen Temperatur (T) und Druck (p) ab:

ΔU = T∙ΔS - p∙ΔV

(S: Entropie und V: Volumen). Mit dem temperaturabhängigen Term T∙ΔS lässt sich der Aggregatzustand ändern, z.B. beim Schmelzen oder Verdampfen. Doch der druckabhängige Term p∙ΔV ist dominanter, weil der Druck in viel stärkerem Maße gesteigert werden kann als die Temperatur. Die folgende Tabelle fasst die Effekte zusammen, die für einen Stoff erzielt werden können, der eine Volumenabnahme von ΔV = 20 cm3/mol zeigt und bei dem der angelegte statische Druck von 5 000 bar über 50 000 bar bis zu 500 000 bar gesteigert wird.

p (bar)p∙ΔV (kcal/mol)Effekte
5 0002Zusammendrücken der Stoffe
50 00020Verbiegen von Bindungen
500 000200Erzeugen neuer Bindungen mit neuen elektronischen Zuständen

Das Anlegen statischer Drücke von 5 000 und 50 000 bar hat relativ kleine Effekte wie das Zusammendrücken der Stoffe und das Verbiegen von Bindungen zur Folge. Diese Effekte können auch durch Veränderung der Temperatur bei 1 bar erzielt werden. Wenn der angelegte Druck jedoch 500 000 bar erreicht, wird ein völlig neues Gebiet erreicht: Es können alte Bindungen attackiert, neue Bindungen geschaffen und neue elektronische Zustände besetzt werden, die eine drastische Änderung der physikalischen Eigenschaften bewirken.

Als ein Highlight sollen die Ergebnisse der Höchstdruck-Forschung an Stickstoff erwähnt werden. Wegen seiner Dreifachbindung ist das Distickstoff-Molekül N2 eines der stabilsten zweiatomigen Moleküle. Bei niedrigen Temperaturen und Drücken lässt sich Stickstoff kondensieren, aber dieser Feststoff enthält noch zweiatomige N2-Moleküle und ist ein Isolator mit einer großen Bandlücke.

McMahan und LeSar haben 1985 vorausgesagt, dass die Dreifachbindung in molekularem Stickstoff unter höchstem Druck gebrochen werden kann, wobei ein Feststoff aus dreibindigen N-Atomen entstehen soll. Solche Strukturen existieren bei Normaldruck schon für die Elemente Phosphor, Arsen, Antimon und Bismuth. Der Transformationsdruck sollte für Stickstoff im Bereich zwischen 500 und 940 kbar liegen. Abschätzungen der Bindungsenergien ergeben für eine Einfachbindung etwa 38 kcal/mol und für eine Dreifachbindung 226 kcal/mol. Das ergibt eine Differenz von 188 kcal/mol, und diese entspricht damit dem Wert von 200 kcal/mol, der in vorangestellten Tabelle in der letzten Zeile angegeben ist.

Die Herstellung des dreibindigen Stickstoffs gelang 2004 Eremets et al. in einer Diamantzelle bei 1 150 000 bar und 2 000 K.

Die kristallographischen Daten für dreibindigen Stickstoff sind:

Gitterkonstante a = 3.4542(9) Å, Raumgruppe: I213, z=8, Lage 8 i (x,x,x) mit x=0.067(1).

Es ergibt sich eine Raumnetz-Struktur aus dreibindigen N-Atomen. Der Bindungsabstand N-N beträgt bei 1.1 Mbar 1.346 Å, der Bindungswinkel NNN 108.8°.

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Die Stickstoffatome bilden Schrauben dreibindiger Atome, die zu einem Raumnetz verbunden sind.

Eine kristallchemische Vorstufe dieses dreibindigen Raumnetzes wird in der Zintl-Phase HD-BaSi2 (Evers, Oehlinger, Weiß 1978) und in ND-SrSi2 (Schäfer, Weiß, 1965) erhalten.

HD-BaSi2, hergestellt bei 40 kbar, 800°C: Gitterkonstante a = 6.715(3) Å, Raumgruppe: P4132, z=8, Lage 8 c (x,x,x) mit x=0.5809(2).

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Es ergibt sich eine Raumnetzstruktur aus dreibindigen Si-Atomen. Der Bindungsabstand Si-Si beträgt bei 1 bar 2.447(3) Å, der Bindungswinkel SiSiSi 118.1o. Die Siliziumatome bilden Schrauben dreibindiger Atome, die zu einem Raumnetz verbunden sind, wobei die Schrauben gegeneinander verdreht sind.

Das Stickstoffnetz in dreibindigem Stickstoff und das Siliziumraumnetz in den Zintl-Phasen HD-BaSi2 und in ND-SrSi2 sind leicht verzerrte Varianten des "dreibindigen Diamants", den A. F. Wells in den Fünfziger Jahren aus topologischen Überlegungen abgeleitet hat.

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Wie in den Platonischen Polyedern Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikoseder ist die Bindigkeit in den Raumnetzen des dreibindigen Diamants und des vierbindigen Diamants (Kohlenstoff-Modifikation) jeweils gleich, bei gleichem Abstand und gleichem Bindungswinkel im Netz. Die folgende Tabelle erläutert den topologischen Zusammenhang zwischen beiden Netzen.

Diamant
dreibindigvierbindig
RaumgruppeI4132Fd-3m
Atome/Zelle88
Bindungsabstanda/4 · √2a/4 · √3
Bindungswinkel120°109°28´
Raumerfüllung18%=1/4·f.c.c.*34%= 1/2·b.c.c.*
Netz(10,3)(6,4)

*b.c.c.= kubisch innenzentrierte Packung
*f.c.c.= kubisch flächenzentrierte Packung

Die sich wiederholende Einheit im dreibindigen Netz ist (10,3). Damit sind gewellte 10-Ringe dreibindiger Atome gemeint. Im vierbindigen Diamant ist es (6,4). Damit sind gewellte Kohlenstoff-Sessel aus sechs Atomen gemeint, die vierbindig vernetzt sind.

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Die Zintl-Phase BaSi2 ist im Druckbereich bis 50 kbar trimorph und zeigt in allen drei Modifikation Analogien zu Element(V)-Strukturen wie es für Si-Ionen zu erwarten ist, wobei die zur Stickstoffstruktur die ungewöhnlichste ist.

Höchstdruck-Untersuchungen bis etwa 500 kbar in der Diamantzelle zeigen, dass die Hochdruckphasen CaSi2–II (α-ThSi2-Typ), SrSi2–II (α-ThSi2-Typ) und BaSi2–III(SrSi2–Typ) um 30 % komprimiert werden können. Dabei wird der Si-Si-Abstand bis auf 2.14 Å in CaSi2–II verkürzt. Eine stabile neue Modifikation wird jedoch noch nicht erreicht.

2. Höchstdruck-Untersuchungen an den Zintl-Phasen KTl und RbTl

Eduard Zintl hat die nach ihm benannte Stoffklasse in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt. Nach ionischer Aufspaltung in Na+ und Tl- besitzen die Thallium-Atome vier Valenzelektronen wie die Elemente der IV. Hauptgruppe des Periodensystems. Daher bauen die Tl--Ionen die Diamant-Struktur auf, die Na+-Ionen liegen in allen oktaedrischen und in der Hälfte der tetraedrischen Löchern.

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Nach über 60 Jahren ist es jetzt gelungen, zwei weitere binäre Phasen im NaTl-Typ zu präparieren.

Die Darstellung erfolgte in der Diamant-Zelle.

Gitterkonstanten jeweils bei 1 bar:

NaTl-Typ
NaTl-ND7.473 Å(Zintl, Dullenkopf, 1932)
KTl-HD8.02 Å(Evers, Oehlinger, 1998)
RbTl-HD8.42 Å(Evers, Oehlinger, 2004)

Der NaTl-Typ für ist nun für sieben binäre AIBIII- Phasen stabil:

LiAl, LiGa, LiIn,
NaIn, NaTl,
HD-KTl, HD-RbTl.